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Ägypten droht Militärdiktatur

Ägypten und Tunesien haben sich neue Verfassungen gegeben. Die Ergebnisse könnten kaum unterschiedlicher sein: Während die Parteien in Tunis im Konsens nach Demokratie streben, droht in Ägypten die nächste Militärdiktatur

Berichtete Spiegel.de

Tunis/Kairo – Drei Jahre nach Beginn der Aufstände in der arabischen Welt stimmen viele Beobachter in den Abgesang auf den Arabischen Frühling ein. Syrien ist im Bürgerkrieg versunken, in Libyen kämpfen Milizen rücksichtslos um Macht und Einfluss, und Ägypten ist auf dem Weg in eine Militärdiktatur

Doch dieser pessimistische Blick auf Nordafrika und den Nahen Osten lässt außer Acht, dass zumindest ein Land trotz aller Schwierigkeiten beachtliche Fortschritte auf dem Weg zu einer funktionierenden Demokratie erzielt hat. Tunesiens Übergangsparlament hat am Montag mit großer Mehrheit eine neue Verfassung verabschiedet – die liberalste in der arabischen Welt

Ausarbeitung und Verabschiedung des neuen Gesetzeswerks haben ein Jahr länger gedauert als zunächst geplant. Die politischen Morde an zwei links-säkularen Gegnern der regierenden islamistischen Nahda-Partei drohten, den Demokratisierungsprozess im vergangenen Jahr zum Stillstand zu bringen. Hunderttausende Tunesier gingen gegen die Regierung auf die Straße. Die Islamisten reagierten nicht mit Härte, sondern gingen auf die Opposition zu

Anders als in Ägypten gab Tunesiens Führung den Versuch auf, ihre Wünsche für die künftige Verfassung rücksichtslos durchzudrücken. Statt auf Konfrontation setzte sie auf Konsens – ein Novum in der jüngeren Geschichte der arabischen Staaten

Allen voran verzichtete die Nahda-Partei darauf, die Scharia als Referenz für Recht und Justiz in der Verfassung festzuschreiben. Artikel 1 legt zwar fest, dass der Islam die offizielle Religion des tunesischen Staats ist. Artikel 2 stellt jedoch klar, dass Tunesien ein ziviler Staat ist. Die Verfassung verbietet zudem ausdrücklich den “Takfir”. So bezeichnet man die Praxis, Menschen mit einer anderen politischen Meinung zu Ungläubigen zu erklären. Dieser Passus wurde auf Druck der säkularen Opposition eingefügt. In den vergangenen Monaten hatten salafistische Gruppen mehrfach linke Politiker zu “Feinden des Islam” erklärt, die den Tod verdient hätten. Stattdessen garantiert das Gesetzeswerk Glaubens- und Gewissensfreiheit

Tunesiens Opposition lobt die Islamisten

Jenseits dieser gesellschaftspolitischen Reformen einigten sich Islamisten und die säkulare Opposition auch auf die künftige Machtarchitektur im politischen System. Die Verfassung sieht eine Teilung der Macht zwischen Präsident und Premierminister vor. Das Staatsoberhaupt trägt die Verantwortung für die Außen- und Verteidigungspolitik des Landes, der Regierungschef legt die Richtlinien von Innen- und Wirtschaftspolitik fest

Die Oppositionspolitikerin Mabrouka Mbarek lobt die neue Verfassung: “Wir haben es geschafft, einen Konsens zu finden”, sagte die Abgeordnete der oppositionellen Kongresspartei. “Das ist der Beweis dafür, dass wir eine pluralistische Demokratie aufbauen können”

Der Erfolg der verfassunggebenden Versammlung in Tunis ist umso bemerkenswerter, wenn man ihn mit den Entwicklungen in Ägypten vergleicht. Dort stimmten vor zwei Wochen etwa 37 Prozent der Wahlberechtigten ebenfalls für eine Verfassung. Es ist bereits das zweite Grundgesetz seit dem Sturz von Diktator Husni Mubarak vor drei Jahren. Erst boxten die Muslimbrüder eine Verfassung nach ihren Vorstellungen durch, nun hat die Armee ein Gesetzeswerk nach eigenen Wünschen ausarbeiten lassen. Doch auch diese Verfassung droht das Land mittelfristig eher zu spalten als zu einen

Das neue Gesetzeswerk wurde hinter verschlossenen Türen von einem 50-köpfigen Komitee erarbeitet, dessen Mitglieder vom Militär benannt wurden. Gegner der Armee hatten in dem Gremium keine Stimme

Die neue Verfassung stärkt die Rolle des Präsidenten. Er kann künftig die stärkste Parlamentsfraktion bei der Ernennung eines Regierungschefs übergehen. Zudem wählt er die wichtigsten Ressortchefs, etwa die Außen-, Innen- und Justizminister aus. Den Verteidigungsminister darf die Armee bestimmen. “Das Kabinett wird zum Erfüllungsgehilfen des Präsidenten und der Militärführung degradiert”, heißt es in einer Analyse des Arabischen Zentrums für Politikwissenschaften in Doha

Während Tunesiens Militär sich traditionell aus der Politik heraushält, ist Ägyptens Armee seit dem Sturz der Monarchie 1952 der wichtigste politische Akteur des Landes. Seither war der Muslimbruder Mohammed Mursi der einzige Zivilist an der Staatsspitze, ihn setzten die Streitkräfte nach nur einem Jahr im Amt ab. Nun wird sich Armeechef Abd al-Fattah al-Sisi von seinem Volk zum Präsidenten küren lassen. Die neue Verfassung mit den ausgebauten Rechten für Präsident und Militär entspricht bereits genau seinen Vorstellungen

 

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