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Ägyptens ungewisse Zukunft unter den Militärs

Unter dem Titel: Ägypten startet Militär Razzia / Egypt Launches Military Crackdown.., haben Hr. CHARLES LEVINSON

und Hr. Herr MATT BRADLEY in der “The Wall Street Journal” Zeitung geschrieben

KAIRO – Nach der Entmachtung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi hat es erste tödliche Attentate gegeben. Auf der Sinai-Halbinsel griffen islamistische Extremisten einen Kontrollposten der ägyptischen Armee und einen Polizeiposten mit Raketen und Maschinengewehren an und töteten nach Angaben von Ärzten mindestens einen Menschen. Zwei weitere wurden verletzt. In der Nacht zum Freitag waren nach Polizeiangaben zudem mehrere Explosionen nahe der israelisch-ägyptischen Grenze zu hören, über die bislang keine weiteren Einzelheiten bekannt sind

Die Lage in Ägypten ist heftig gespannt, nachdem sich das Militär seine Rolle als beherrschende politische Kraft in dem Land zurückerobert und die demokratisch gewählte Staatsführung in einem Putsch abgesetzt hat. In der Nacht zum Freitag veröffentlichte die Armee dennoch eine Erklärung, wonach Ägypter auf Racheakte verzichten sollen. Jegliche „außergewöhnlichen und willkürlichen Maßnahmen” gegen politische Bewegungen sollten vermieden werden, heißt es in der Botschaft. „Friedliche Versammlungen” und Redefreiheit seien garantierte Rechte, betonte das Militär jedoch

Anhänger des gestürzten Präsidenten, den das Militär ebenso wie weitere führende Mitglieder der islamistischen Muslimbruderschaft in Gewahrsam genommen hat, haben indes für Freitag zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen

Das neue Machtgleichgewicht in Ägypten folgt auf tagelange Volksproteste mit dutzenden Todesopfern, bei denen Millionen von Bürgern den Rücktritt Mursis gefordert hatten. Eine Vielzahl von Strömungen im Volk stellte sich hinter die Demonstranten, unter ihnen auch eine Reihe von Anhängern des ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak, der selbst vor zwei Jahren mit Hilfe des Militärs aus dem Amt gejagt worden war

Einige der ehemaligen Gefolgsleute Mubaraks hätten sich in der nun herrschenden Übergangsregierung schon einen Platz gesichert, berichten Kenner der politischen Verhandlungen zwischen dem Militär und Mursi-Gegnern

Der erzwungene Machtwechsel, der Ägypten möglicherweise in eine neue Phase der Unruhen stürzt, gipfelte am Donnerstag mit der Ernennung von Adli Mansur zum Interimspräsidenten. Die Armee hatte den Richter, der erst am Montag zum Leiter des Verfassungsgerichts aufgestiegen war, ernannt. Er soll nun das Land bis zu geplanten Neuwahlen führen, für die es allerdings noch keinen Termin gibt

Mit dem Sturz Mursis setzte das Militär zugleich die Verfassung Ägyptens außer Kraft, die einst von der mehrheitlich von Muslimbrüdern besetzten Verfassungsgebenden Versammlung entworfen und im Dezember von Mursi nach einer Volksabstimmung endgültig verabschiedet worden war

Während weltlich gesinnte Ägypter über den Militärputsch jubelten, reagierten prominente ägyptische Menschenrechtsverfechter und Demokratiebefürworter ebenso besorgt wie westliche Regierungen

Bundesaußenminister Guido Westerwelle nannte die Ereignisse in Ägypten einen „schweren Rückschlag für die Demokratie in Ägypten” und forderte die schnellstmögliche Rückkehr „zur verfassungsmäßigen Ordnung”. Westerwelle bezeichnete es als einen „schwerwiegenden Vorgang, dass die ägyptischen Streitkräfte die verfassungsmäßige Ordnung ausgesetzt und den Präsidenten seiner Amtsbefugnisse enthoben haben”. Der Außenminister warnte zudem vor einem „schweren Schaden” für den „demokratischen Übergang in Ägypten

Der schlimmstmögliche Anfang für einen frischen demokratischen Wandel

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat Ägypten seine „tiefe Sorge” über das Eingreifen der ägyptischen Armee zum Sturz von Präsident Mohammed Mursi übermittelt. In einem Telefongespräch mit Ägyptens Außenminister Mohammed Kamel Amr habe Ban eine rasche Rückkehr zu einer zivilen Regierung gefordert, erklärte seine Sprecherin Eri Kaneko am Donnerstagabend in Kopenhagen. Die USA erklärten, sie würden die Zahlung ihrer Hilfsgelder an Ägypten von einer raschen Rückkehr zu einer vom Volk gewählten Regierung abhängig machen

„Ich denke nicht, dass es ein positives Zeichen ist, wenn man hergeht und die Führer der größten und am besten organisierten politischen Partei verhaftet. Das ist der schlimmstmögliche Anfang für einen frischen demokratischen Wandel”, sagt Heba Morayef, Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Ägypten

Die Top-Generäle des Landes sagen, das Militär habe nur widerstrebend eingegriffen; sie sagen, sie hätten angesichts der Welle der Unzufriedenheit mit der Herrschaft der Muslimbruderschaft keine andere Wahl gehabt

Viele Ägypter aber glauben, dass das Militär eine Schlüsselrolle gespielt haben könnte, um den Volkszorn anzustacheln. Einige verweisen darauf, dass die Stromausfälle und langen Schlangen an Tankstellen plötzlich verschwunden sind, die in den Wochen vor dem Jahrestag von Mursis Amtsantritt doch zu einem akuten Problem für die Bevölkerung geraten waren

„Mir fällt es schwer zu verstehen, wie die Tankstellenschlangen und Stromausfälle einfach auf wundersame Weise verschwinden können, nachdem Mursi abgesetzt ist. Es ist fast so, als ob der Staatsapparat entschieden hat, dass er den Schalter umlegt”, sagt Josh Stacher, Politikwissenschaftler und Ägypten-Experte an der US-Universität Kent State

Sinai sorgte für Bruch zwischen Mursi und Militärs

Menschenrechtsaktivistin Morayef teilt seine Sichtweise: „Es gab extrem schwere Knappheiten in der Zeit genau vor den Protesten des 30. Juni, die jeden wütend gemacht haben, und auf einfach war alles wieder gut”, sagt Morayef. Sie mutmaßt: „Da hat es eine Menge Sabotage gegeben

Ein Mitarbeiter von Oppositionsführer Mohammed El Baradei erzählt, dass das ägyptische Militär sich schon mindestens drei Wochen vor den Protesten vom Sonntag auf einen möglichen Putsch gegen Mursi vorbereitet hat.

Sameh Seif El Yazal, ein pensionierter ägyptischer General, sagt darüber hinaus, dass es in den jüngsten Monaten zunehmend zu Brüchen im Verhältnis zwischen Militäroberen und Mursi wegen zunehmend militanter Stimmung auf der Sinai-Halbinsel bekommen sei.

Laut Yazal verstärkte die Entführung von sieben ägyptischen Soldaten im Sinai im Mai die Spannungen. Im Juni dann ärgerten sich die Militärkommandeuere über ein Treffen Mursis mit seinen Beratern, bei dem es darum ging, wie man Äthiopien vom Bau eines Nil-Damms abhalten könne, und das ohne Wissen der Beteiligten im Fernsehen übertragen wurde. Die Armee fand damals, Mursi habe Ägypten öffentlich erniedrigt.

Etwas später im Juni, als das Militär schon darüber debattierte, ob es sich einmischen sollte, habe sich Mursi offen gegen das syrische Assad-Regime ausgesprochen – neben radikalen Scheichs, die den Dschihad gefordert und Schiiten schlecht gemacht hätten, sagt Ex-General Yazal. Auch das empfanden führende Offiziere als nerv tötend

Bald darauf habe das Militär den Oppositionsführern versichert einzugreifen, wenn die Proteste gegen Mursi nur groß genug wären, sagt der Mitarbeiter von El Baradei. Außerdem hätten sie führende Oppositionelle um Rat gefragt, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Sie wollten vermeiden, dieselben Fehler zu machen wie beim letzten Machtwechsel vor zwei Jahren. Anders als beim Sturz Husni Mubaraks im Jahr 2011 beriefen die ägyptischen Generäle diesmal sofort einen Übergangs-Staatsführer aus dem Volk. Ägyptens Top-General verkündete die Entmachtung Mursis zudem flankiert von führenden muslimischen und christlichen Geistlichen sowie von El Baradei und anderen Aktivisten der Opposition

Ich denke, das Militär und die bewaffneten Kräfte haben ihre Lektion gelernt”, sagt Wael Nawara, Mitbegründer der Verfassungspartei von El Baradei. „Sie haben versucht, dem politischen Prozess fernzubleiben und als Kraft im Hintergrund dafür zu sorgen, dass es zu einem demokratischen Wandel kommt

Einige oppositionelle Verfechter der Demokratie machen sich trotzdem Sorgen, dass bereits Figuren aus dem geschassten Mubarak-Regime wieder auf der Bildfläche auftauchten – just als die Protestwelle gegen Mursi an Fahrt gewann

Mubarak-Getreue tauchen wieder auf

So wurde der ehemalige Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmud, der mit Freisprüchen gegen frühere Funktionäre des Mubarak-Regimes den Zorn der Revolutionäre auf sich gezogen hatte, am Donnerstag wieder zum Regierungsmitglied ernannt

Auch Hossam Badrawi, der zuletzt Generalsekretär der Nationaldemokratischen Partei war, ist in den vergangenen Wochen wieder als regulärer Gast in örtlichen Talkshows aufgetreten. Ebenso wieder da ist plötzlich Mortada Mansur, dem Aktivisten vorgeworfen haben, während der Aufstände im Jahr 2011 Angreifer auf Kamelen gegen friedliche Demonstranten gehetzt zu haben. Mansur selbst hat diese Vorwürfe bestritten

Das Militär scheint gezielt Figuren aus der ehemaligen Mubarak-Regierung anzusprechen, die inzwischen auf Seiten der postrevolutionären Oppositionsparteien stehen, sagt Rabab al-Mahdi, eine Politikwissenschaftlerin an der Amerikanischen Universität in Kairo, die viele führende Oppositionell persönlich kennt. Das Militär halte diese Mubarak-Getreuen für Kompromissfiguren, mit denen sowohl die Armee als auch die Opposition leben könnten

Dann machen noch die Namen zweier ehemaliger Vertreter der Regierungspartei von Mubarak die Runde, die jetzt Mitglied in der Partei von El Baradei sind. Sie werden in den Gesprächen zwischen Opposition und Militär als mögliche Berater gehandelt

„Eine ganze Reihe von Gesichtern aus dem alten Regime sind plötzlich wieder sehr sichtbar”, sagt Expertin Mahdi. „Man könnte meinen, das hier ist eine Gegenrevolution” und nicht die Fortsetzung der ersten Revolution

—Mitarbeit: Reem Abdellatif. Mit Material von AFP

 

http://www.wsj.de/article/SB10001424127887324853704578586691187413814.html

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