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Der 25. Januar 2011 gilt als Jahrestag der ägyptischen Revolution. Fünf Jahre später hat sich kaum eine Hoffnung

Der 25. Januar 2011 gilt als Jahrestag der ägyptischen Revolution. Fünf Jahre später hat sich kaum eine Hoffnung von damals erfüllt – weder in Ägypten noch in den anderen Ländern des Arabischen Frühlings.

unkten des Jahres. 2009 hatte Diktator Hosni Mubarak den Tag zum alljährlichen Feiertag der Polizei ernannt. Das Fest sollte den Einsatz der Beamten für Sicherheit und Stabilität in Ägypten würdigen.

 Doch am 25. Januar 2011 war alles anders: Ausgerechnet an ihrem Feiertag sahen sich Ägyptens Polizisten Hunderttausenden Demonstranten gegenüber. Über Facebook, Twitter und andere soziale Medien hatten zumeist jugendliche Oppositionelle zu Kundgebungen im ganzen Land aufgerufen. Trotz Demonstrationsverbots gingen die Massen auf die Straße, in Kairo, Alexandria, Suez und anderen Städten. Ihr Slogan: “Das Volk will den Sturz des Regimes”.

Der Tag gilt als Ausgangspunkt der Revolution in Ägypten. Nun wurde klar, dass der Sturz des tunesischen Langzeitdiktators Zine el-Abidine Ben Ali elf Tage zuvor kein isoliertes Ereignis bleiben würde. In Ägypten dauerte es noch 18 Tage bis zum Sturz des Präsidenten. Am 11. Februar verkündete Mubaraks Vize Omar Suleiman die Absetzung des Diktators.

 Der Machtwechsel geht als “Revolution des 25. Januar” in die Geschichte ein. Für einen Moment sieht es aus, als stünde die Demokratisierung des Nahen Ostens bevor. Die Rede ist von einem Arabischen Frühling.

Der Machthaber im bevölkerungsreichsten arabischen Land war gestürzt und auch in anderen Ländern der Region begehrten die Menschen auf. Von Tunesien bis Bahrain, von Syrien bis zum Jemen schien das Ende der Alleinherrscher gekommen.

Fünf Jahre später herrscht vor allem Ernüchterung: In Ägypten regiert ein neuer Autokrat mit harter Hand, Syrien, der Jemen und Libyen versinken im Bürgerkrieg, in Bahrain hat das Militär die Protestbewegung niedergeschlagen.

Fünf Jahre Tahrir, das bedeutet fünf Jahre enttäuschte Hoffnungen und gebrochene Versprechen. Ein Aufbruch in die Freiheit, brutal gestoppt. Es war der Beginn der Zeit, in der wir heute leben.

Fünf Jahre Tahrir bedeutet Mut und Schönheit und das Verlangen einer ganzen Generation, endlich das zu haben, was ihnen zusteht.

 Fünf Jahre Tahrir bedeutet das grausame Gesicht der Geschichte, die Rückkehr der Realpolitik und die Ratlosigkeit des Westens.

Es bedeutet auch den tragischen Irrtum, dass das alles ohne Auswirkungen auf Europa bleiben würde, dass sich Europa weiter mit seiner Eingeweideschau beschäftigen könne, dass das Leiden, das Sterben, der Verrat für immer durch einen Bildschirm von uns getrennt bleiben würde.

Es war nicht so. Sie kämpften, sie verloren, in Ägypten und vor allem in Syrien, wo es ein paar Wochen später begann, sie litten dort, sie hungerten, sie starben, und irgendwann machten sie sich auf, weil es nicht mehr anders ging, es ist der Wille des Menschen zu überleben, es ist sein gutes Recht, es ist die Grundlage aller Ethik, weil der Mensch der Ausgangspunkt von allem ist.

Fünf Jahre Tahrir bedeutet damit in vielem den Anfang dessen, was wir gerade sehen, es ist der Beginn der Zeit, in der wir leben, und die Fragen von damals sind die Fragen von heute.

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Falsche Politik und ihre Folgen

Was tun wir, was denken wir, was bedeutet es, wenn andere Menschen unterdrückt werden und sich dagegen auflehnen? Ist es egal? Ist es ihr gutes Recht? Sind das die Abendnachrichten? Ist es störend für die Weltwirtschaft und die globale Ordnung?

Und was bedeutet es für die Freiheit, wenn sie nur für die gilt, die sie sich leisten können, ist sie teilbar, portionierbar, abpackbar, kann man sie in Tüten stecken und glauben, sie hält sich frisch?

Und was bedeutet es für Demokratie, was vor fünf Jahren in Kairo passierte und in weiten Teilen der arabischen Welt? Wie naiv waren die, die dachten, es wird alles gut? Wie naiv waren die, die dachten, es geht alles schnell? Wie naiv waren die, die dachten, es geht alles vorüber?

Und was ist unser Teil, unsere Verantwortung, als Bürger dieser Welt? Vor allem: Warum sind solche Fragen so vielen unangenehm? Und warum ist Moral so ein schmutziges Wort?

Heute sehen wir: Der 25. Januar 2011 war ein Epochenbruch, es sind Grundzüge einer neuen globalen Wirklichkeit, die sich von diesem Datum ausgehend abzeichnen.

Die “Frankfurter Allgemeine” nennt so etwas “Globalisierungspropaganda”, als sei die Wirklichkeit eine Ideologie, aber vielleicht behaupten sie dort bei ihren antirationalistischen Kreuzzügen demnächst auch, dass sich die Sonne um die Erde dreht.

Aber tatsächlich ist die trotzige Verweigerung und die Verleugnungsverkrampfung, die in diesem Wort steckt, enorm. Und sie ist symptomatisch: Die vergangenen fünf Jahre waren Jahre der Verdrängung.

Es waren Jahre der falschen Politik und der falschen Prioritäten: Vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien leben in Lagern in Jordanien, im Libanon, in der Türkei, eine Milliarde Euro wollte die Weltgemeinschaft dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR dafür geben, jahrelang hatten sich zuvor Verantwortliche über zu wenig Geld beschwert und vor den Folgen dieser falschen Politik gewarnt.

Nur mal zum Vergleich, wahllos herausgepickt: Der Berliner Flughafen kostet 4,5 Milliarden Euro, mindestens, die Rettung der kleinen HSH Nordbank kostet bis zu 13 Milliarden Euro, der Bankenrettungsfond Soffin hatte Ende 2014 einen Fehlbetrag von 21,9 Milliarden Euro, die Risiken für die Griechenlandkredite belaufen sich allein in Deutschland auf 100 Milliarden Euro.

Europas Logik zu helfen

Geld ist also nicht das Problem, das Problem ist der Wille, etwas zu ändern, etwas zu tun, im 21. Jahrhundert anzukommen, wie es gerade der kanadische Premierminister Justin Trudeau vorgemacht hat, der in Davos nochmal eindrucksvoll erklärt hat, dass Diversität die Zukunft ist, das Diversität gut ist für eine Gesellschaft, dass man auf Diversität der Motor des Neuen ist.

Stattdessen bei uns: Professoren, die vom Untergang der römischen Reiches schwafeln, natürlich mit direkten Parallelen zu diesen neuen Hunnen, die Germanien überrennen, oder die mit vielen wirren Worten eine “gediegene Freiheitspraxis” fordern, als sei Freiheit ein Ohrensessel, in dem man sich setzen kann, und dann legt man gemütlich die Beine hoch.

Das sind gerade die europäischen Reflexe, die Reflexe eines im Schrecken erstarrten Kontinents, der seinen eigenen Prinzipien nicht mehr traut, der an seine eigene Zukunft nicht mehr glaubt, der seine alten Egoismen entdeckt, die womöglich nie weg waren und nun wieder Politik werden.

Da hat dann Merkel das “deutsche Volk” verraten, was auch immer das sein soll. Da ist dann Merkels konstruktiver Realismus auf einmal nicht Vorbild, sondern Fanal, weil alle anderen, so scheint es, dagegen sind. Da werden keine Prinzipien für eine richtige, für eine gerechte Politik formuliert, da wird nur noch Rette-sich-wer-kann gespielt.

Aber so geht das nicht: Man rettet nicht etwas, indem man es zerstört. Das ist ja die finstere Logik unserer Tage. Widersprüche sind Politik geworden.

Und die Toten im Mittelmeer sind auf einmal “Merkels tote Kinder”, wie der “Stern” im “Stürmer”-Stil schreibt?

Die gegenwärtige Diskussion prägt ein tiefer Unernst und die Weigerung, wenigstens die offensichtlichsten historischen Verbindungen zu sehen oder zu benennen: Auch deshalb ist der 25. Januar so ein trauriges Datum.

Die Botschaft von Tahrir

Was soll man zum Beispiel von dieser Seifenoper halten, die Horst Seehofer da täglich veranstaltet, diesem manisch-depressiven Irrlicht, der Politik in eine Psychogruppe verwandeln will, also die Angela und ich, wir haben uns bislang richtig gut verstanden, und jetzt, ich weiß auch nicht, nichts ist mehr so, wie es war?

Aber eine Regierungskoalition ist doch nicht betreutes Wohnen. Es ist diese Faszination für mikroskopische Binnenwahrheiten, die gegenwärtig so nervt, so lähmt, diese Flucht in Befindlichkeiten und Taktik.

Und gleichzeitig stellen viele Politiker und Journalisten Europa mit einer Selbstverständlichkeit zur Disposition, die mich schaudern lässt. Diese gemeinschaftliche Idee von Europa ist tot, sagen sie lässig.

 Ist das also das Fazit, ist das das Ergebnis der Amnesie der gegenwärtigen Hecheldiskussionen? Der dauernden Klippklapp-Politik? Warum gibt es so wenige, die wenigstens versuchen, sich auf Augenhöhe mit der Weltgeschichte zu bewegen?

Dann würde man sehen: Fünf Jahre Tahrir bedeutet, dass die Kämpfe unserer Tage nicht Abendland gegen Morgenland sind, nicht Christen gegen Muslime, keine kulturellen Schlachten um das Eigene und die Identität.

Es ist, quer durch die Länder und Kulturen, der Kampf der Progressiven gegen die Reaktionäre. Das sind die Verbindungen, das sind die Allianzen, die man suchen muss. Das wäre die Botschaft von Tahrir.

Eine Kolumne von Georg Diez

r spiegel

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