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Saudi-Arabien alimentiert 7000 geldgierige Prinzen

US-Depeschen beweisen: Das saudische Königshaus betrachtet das eigene Land als Selbstbedienungsladen. Verwandte des Herrschers bereichern sich schamlos.

Der 56-jährige Prinz al-Walid Bin Talil, seine Frau und seine Kinder wohnen in 320 Zimmern in einem sandfarbenen Palast, der mit italienischem Marmor ausgekleidet ist, mitten in Riad. Dazu kommen drei Hallen-Schwimmbäder, Tennisplätze, 250 Fernseher, ein Kinosaal und fünf Küchen, die 2000 Gäste auf einmal beköstigen können. In der Garage des Prinzen stehen 200 Luxusautos, darunter Rolls-Royce, Ferrari und Lamborghini.

Es war ein schlechtes Jahr für den reichsten Araber der Welt. Mit einem Vermögen von etwa 13,6 Milliarden Euro fiel er auf der “Forbes”-Liste der reichsten Menschen vom 19. auf den 26. Platz. In seinem fliegenden Palast, einer umgebauten Boeing 747-400, düst der Prinz zwischen London, New York, Paris, Singapur und Riad hin und her.

Bald reist er in einem Airbus A380, eine ehemalige Testmaschine des Flugzeugbauers, die gerade umgebaut und mit jedem nur erdenklichen Luxus ausgestattet wird. Das größte Verkehrsflugzeug der Welt ist gerade groß genug für einen der reichsten Menschen des Planeten.

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Gleichzeitig schreibt al-Walid kluge Essays in der “New York Times”, in denen er Reformen für Frauen und Arme fordert. Er ist ein Scheich ganz nach dem Geschmack des Westens. Die mächtigen religiösen Imame im Land hingegen kritisieren ihn scharf: Al-Walid habe eine seiner hübschen Frauen im Ausland Auto fahren lassen, was in Saudi-Arabien strengstens verboten ist.

Al-Walid hat häufig mit amerikanischen Diplomaten die Lage im Nahen Osten erörtert. Das geht auch aus den Wikileaks-Depeschen hervor, zu denen “Welt Online” in einer Kooperation mit der norwegischen Zeitung “Aftenposten” Zugang erhalten hat. Dort taucht der Prinz zwischen 1996 und 2010 häufig auf. Seine Brüder steuern aus der Al-Saud-Familie heraus eines der autoritärsten Regime der Welt. Gleichzeitig gelten sie als enge Verbündete des Westens in der Region.

Behörden verhängten Demonstrationsverbot

Auch der scheinbar standfeste Golfstaat bleibt von den Erschütterungen der arabischen Welt nicht unberührt. Im März verhängten die Behörden ein Demonstrationsverbot, Internet und Medien sind unter totaler staatlicher Kontrolle. Ein gewaltsamer Aufstand gegen die Prinzen würde die Weltwirtschaft erschüttern, denn nicht nur die Amerikaner sind abhängig von den Öllieferungen aus Saudi-Arabien. In den Depeschen werden deshalb immer wieder Sorgen der Amerikaner deutlich. “Viele glauben, dass die königliche Gier die Grenzen der Vernunft überstiegen hat”, heißt es in einem Dokument aus der Botschaft.

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Die kritischste Analyse schrieb der frühere US-Botschafter William W. Fowler, der die Familie von 1996 bis 2001 beobachtete. “Wo bekommen sie bloß all das Geld her?”, fragte er am 30. November 1996 und kabelte eine mehrseitige Erklärung für den märchenhaften Reichtum der Öl-Kaste nach Washington. Als Quelle diente ihm al-Walid. Freimütig erklärte der Prinz dem Diplomaten, wie sich die oberen 7000 bereichern – bis heute.

“Fünf oder sechs Prinzen kontrollieren die Einnahmen aus täglich einer Million Barrel Öl, die aus der Tagesproduktion von acht Millionen Barrel abgezweigt werden”, erzählte al-Walid. Mitte der 90er-Jahre entsprach das “nur” einer täglichen Summe von etwa 20 Millionen Dollar, beim heutigen Ölpreis betrügen die Tageseinnahmen bis zu 120 Millionen Dollar.

“Stipendienprogramm für die Königlichen”

Er selbst sei aus diesem inneren Zirkel ausgeschlossen, erzählte al-Walid, und er sehe mit Abscheu dem Treiben seiner Geschwister und Cousins zu. Die detaillierten Ausführungen des Prinzen seien für ihn so gefährlich, dass die Quelle “strengstens geschützt” werden müsse, warnte der Botschafter. Nach 15 Jahren kommen nun die Details heraus.

Ein Weg für die Begünstigten, an Geld zu kommen, führt über das “Stipendienprogramm für die Königlichen”. Dessen Existenz war zwar bekannt, nicht aber welche enormen Summen es verschlingt. Nach den Erkenntnissen der Amerikaner erhielten die Kinder des Königs Abdul Asis ibn Saud (1880–1953), der Riad im Jahr 1902 mit nur 20 tapferen Stammeskriegern erobert und 30 Jahre später die Grundlage für den Staat Saudi-Arabien mit Hilfe der Engländer gelegt hatte, Mitte der 90er-Jahre den Höchstsatz von 200.000 bis 270.000 Dollar monatlich.

Geld ohne Gegenleistung

Die Enkel bekamen 27.000 Dollar, Urenkel 13.000 und deren Kinder immerhin noch 8000 Dollar. Ohne jede Gegenleistung. Der alte König hatte etwa 60 Kinder und 420 Enkel. Insgesamt gibt es etwa 7000 Prinzen. Fowler hat errechnet, dass allein das Stipendiensystem die Staatskasse zwei Milliarden Dollar jährlich kostet – bei einem Gesamtbudget von 40 Milliarden.

“Die Stipendien sind ein substanzieller Anreiz für die Prinzenfamilie, sich zu vermehren, zumal sie von Geburt an ausbezahlt werden”, schreibt Botschafter Fowler. Zusätzlich bekommen die Prinzen “Bonus-Stipendien” von bis zu drei Millionen Dollar, wenn sie heiraten oder einen neuen Palast bauen wollen. Aber die königliche Familie hat noch subtilere Wege entwickelt, um an viel Geld zu kommen. Der innere Kreis von sieben Prinzen steuert ohne Kontrolle die öffentlichen Einkäufe in Höhe von mehreren Milliarden Dollar jährlich.

Hunderte Millionen Dollar Bestechungsgelder

Beim Skandal um den Konzern British Aerospace 2003 kam heraus, dass ein Prinz Hunderte Millionen Dollar Bestechungsgelder vom britischen Rüstungsgiganten angenommen hatte. Eine weitere Methode: Die Prinzen leihen sich Geld bei der Bank, ohne es zurückzuzahlen. Andere stellen Wanderarbeitern aus Pakistan, Indien oder Indonesien zu Hunderten Visa aus und kassieren dafür.

Selbst Landraub gilt als anerkanntes Mittel, um sich zu bereichern. “Die Prinzen konfiszieren Land von gewöhnlichen Arabern, insbesondere, wenn es zu Bauland umgewandelt werden soll, und verkaufen die wertvoll gewordenen Flächen mit Profit an die Behörden weiter”, steht in einer Depesche. Ein Bruder des Königs beschlagnahmte kurzerhand die Umgebung des geplanten neuen Flughafens von Riad, und der jetzige Innenminister sicherte sich die Kontrolle über die Küste am Golf.

Die erste Milliarde mit “Immobilienhandel”

Einer dieser Landhaie war der damals noch unbekannte Prinz al-Walid, der seine erste Milliarde mit “Immobilienhandel” machte. Das Geld floss in ein internationales Firmenimperium, das heute unter anderem aus der Citigroup, der Hotelkette Four Seasons und dem Vergnügungspark Euro Disney bei Paris besteht. Al-Walid gönnte sich auch die 70-Meter-Yacht aus dem James-Bond-Film “Sag niemals nie”.

Für die Amerikaner ist es am bemerkenswertesten, dass der ganze erbeutete Reichtum nicht zu noch mehr Milliardären geführt hat. “Die Prinzen können besser Geld ausgeben als Geld sparen”, schreibt Fowler. Das Paradoxe: Viele Prinzen beklagen den Druck, ständig Geld ausgeben zu müssen. Es sei teuer, königlicher Abstammung zu sein. Denn die Mentalität, Geld für nichts zu fordern, prägt offenbar die gesamte saudische Gesellschaft. Regelmäßig laden die Prinzen zu sogenannten Majlis ein, Sitzungen, in denen die einfachen Leute um der Reichen Gunst nachsuchen dürfen. Meistens tauchen dabei jeweils mehrere Hundert Menschen auf.

Die Funktionen der Geldausgabestelle

Bei seinem Treffen mit dem Direktor des “Büros für Regeln und Beschlüsse” bekam ein Mitarbeiter der US-Botschaft hautnah mit, wie das System funktioniert. Im dem alten Gebäude in Riads Bankenviertel drängten sich Bedienstete, die das Geld für ihre Herren abholen sollten. Das Gespräch des Botschaftsmitarbeiters mit dem Beamten, der kein Wort Englisch sprach, lief über zwei Stunden und wurde ständig durch Bittsteller unterbrochen.

Drei Funktionen erfüllt die Geldausgabestelle, registrierte der Amerikaner: die Verteilung von Stipendien an die königliche Familie, die Auszahlung von Apanagen an andere Familien aus dem Dunstkreis der Herrscher und die Erfüllung von Versprechen, die ältere Prinzen bei ihren Majlis gewöhnlichen Arabern gegeben haben.

Rolle eines “bad cop”

Die Angehörigen aus der letzten Gruppe tragen handgeschriebene Zettel bei sich, auf denen ihr Gönner auf königlichem Briefpapier Instruktionen gekritzelt hat. Der Beamte genehmigte diese zwar, doch für den Besucher war klar, dass er dabei die Rolle eines “bad cop” zu spielen hatte. So wurde der Diplomat Zeuge, als der Entscheider einen alten, fast blinden Mann anfuhr, warum er denn eine Augenoperation in den USA durchführen lassen wolle, es gebe doch in Saudi-Arabien erstklassige Kliniken.

Mehrere Minuten lang ließ sich der Beamte dann die Rechtfertigungen und Klagen des Mannes anhören, bevor er das Ansinnen, das von einem Prinzen versprochen wurde, dann doch genehmigte. Der Alte ging zufrieden aus dem Büro, während der Leiter seinen Gast angrinste. “Ich war selbst zweimal in den USA zur medizinischen Behandlung, wegen eines chronischen Magengeschwürs und wegen Schmerzen in der Handwurzel. Beide Krankheiten hatten bestimmt etwas mit dem Job zu tun”, sagte der Beamte und kicherte.

Reformen für Schulen, Gerichte und das Bankwesen

Es kann aber auch ganz schnell gehen. Ein Araber erschien während der Visite des Diplomaten im Büro und forderte ein Stipendium. Er zeigte einen Zettel, auf dem die Seriennummer der Flinte notiert war, mit der sein Vater auf der Seite des alten Königs gegen rivalisierende Stämme und Ottomanen gekämpft hatte. Alle Nachfahren des treuen Soldaten haben ihre Apanagen bis in alle Ewigkeiten sicher.

Ein Ende dieser Praxis ist nicht abzusehen. Als Abdullah im Jahr 2005 den Thron bestieg, ging diese Machtübernahme mit großen Erwartungen einher. Er sei ein König mit dem Willen und der Fähigkeit, den ausschweifenden Luxus der Prinzen einzudämmen, hieß es. Und Abdullah machte sich daran, das Land zu modernisieren: Schulen, Gerichte und das Bankwesen wurden reformiert, die Zahl der Studenten explodierte geradezu, und die Wirtschaft sollte auf den neuesten Stand gebracht werden. Abdullah initiierte sogar einen interreligiösen Dialog mit Christen und Juden.

König muss Interessen geldhungriger Prinzen ausbalancieren

Um Aufstände zu vermeiden, ließ der König das Volk mit subventioniertem Öl versorgen. In einer Depesche vom Januar vergangenen Jahres wurde der stellvertretende Ölminister mit der Aussage zitiert, dass die Prinzen völlig abhängig vom Schmieren ihrer Untergebenen seien. “Wenn wir die Preise heraufsetzen, ziehen wir den Leuten das Geld aus der Tasche”, sagt der Prinz.

Die Einführung einer Einkommensteuer werde derzeit nicht erwogen. Die Reformen kommen nur langsam voran. Der König muss die Interessen der geldhungrigen Prinzen, der mächtigen Imame und einer frustrierten Mittelklasse ausbalancieren, während al-Qaida in den Koranschulen eine neue Extremisten-Generation heranzüchtet.

“Astronautenprinz” mag Skifahren in der Schweiz

“Das größte Problem für König Abdullah ist es, Jobs zu schaffen”, sagt Sultan Bin Salman, der 1985 mit der US-Raumfähre “Discovery” als erster Araber ins All flog. Der “Astronautenprinz” ist ein leidenschaftlicher Pilot und liebt es, in der Schweiz Ski zu fahren. Sein Vater ist Gouverneur in Riad und ein starker Anwärter auf den Thron.

Aber selbst Abdullah kann keine neuen Jobs herbeizaubern. Umtriebige saudische Geschäftsleute bemühen sich um Kontakte in die westliche Geschäftswelt. Sie arrangieren seit vielen Jahren das Ökonomische Forum in Dschidda – mit weltbekannten Rednern wie George H.W. Bush, Bill Clinton, Gerhard Schröder und Hillary Clinton. Auch Frauen durften teilnehmen, getrennt von den Männern in einem abgeschirmten Raum.

“Moralischer Verfall und eine Bordellatmosphäre”

Eine Depesche aus dem Jahr 2009 berichtet von der Konferenz und macht deutlich, wie lang der Weg zu einer modernen Gesellschaft noch ist. Jedes Jahr wurde die Konferenz von Dschidda mittendrin abgebrochen, zur Verzweiflung der Amerikaner. Der Grund: In einer Vortragspause ging eine der Frauen in die Lobby, um sich einen Kaffee zu holen. Das führte zu heftigen Protesten der Imame und Kritik der Behörden. “Prostitution, moralischen Verfall und eine Bordellatmosphäre” glaubte die größte Zeitung Dschiddas in diesem Vorgang zu erkennen.

Bisweilen beschleicht die Herrschenden über eines der reichsten Länder der Welt aber selbst das schlechte Gewissen und eine Ahnung davon, dass ihre eigenen moralischen Kategorien möglicherweise nicht besonders belastbar sind. Ein Beispiel dafür gibt der Auftritt des Kronprinzen Sultan ibn Abdul Asis, der am 11. Dezember 2009 nach einer Krebsoperation in den USA und einem anschließenden Urlaub in Marokko in Riad empfangen wurde. Die ganze Stadt stand Kopf für die triumphal inszenierte Rückkehr des Prinzen.

Kriminelle für Al-Saud-Familie freigelassen

An den Straßen vom Flughafen bis zum Zentrum salutierten Tausende Soldaten, die Wege wurden mit Fahnen geschmückt, und Plakate priesen die Al-Saud-Familie. Die Gefängnisse wurden geöffnet und alle Kriminellen, die “nicht gefährlich sind für den Staat”, freigelassen.

Die gesamte Familie kam an diesem Sonntagmittag mit prominenten Gästen zusammen. Gefeiert wurde im Stadion in Riad – der einzige Ort, an dem die 30.000 Gäste essen können. Arm in Arm mit Brüdern, Halbbrüdern und Neffen tanzte der Kronprinz den traditionellen Schwerttanz, um den Zusammenhalt der Familie zu demonstrieren. Der 83-Jährige war allerdings so schwach, dass er das Schwert nicht mehr hochheben konnte. Die gesamte Nation lauschte seiner Rede.

Der Kronprinz lobte seinen Bruder, König Abdullah, der “das Land nach seinem Plan lenkt”. Aber plötzlich, in einem Augenblick der Selbsterkenntnis, stockte er und sagte einen Satz, der nicht im Manuskript stand: “Ich wünschte mir, das gesamte Geld für dieses Fest wäre lieber für die Bedürftigen ausgeben worden.”

Sofort lief die gigantische Zensurmaschine des Landes an, um diesen Satz wieder aus der Welt zu holen. Die “Informationsmitarbeiter” des Prinzen schnitten die Passage aus allen Sendungen heraus, der inkriminierte Spruch wurde aus dem Internet-Verkehr gefiltert. Das Regime wollte nicht den kleinsten Riss in der Fassade zulassen. Nur ein amerikanischer Diplomat berichtete von dem Vorfall in einer Depesche.

Exzesse der königlichen Familie größtes Problem

Die ausschweifende Verschwendung sah der Top-Diplomat Fowler als das größte Problem Saudi-Arabiens an – trotz damals schon grassierender Terror-Furcht, extremistischer Imame und Bürgerkriegen in den Nachbarländern. “Am wichtigsten ist es, die Exzesse der königlichen Familie in den Griff zu bekommen”, schreibt Fowler.

“Aber so lange die Royals dieses Land als ,Al Saud Inc.’ begreifen, wird eine weiter wachsende Zahl von Prinzessinnen und Prinzen es als ihr Geburtsrecht ansehen, üppige Zahlungen entgegenzunehmen und ab und an in die Kasse zu greifen.”

Die Welt

 

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